Glasgow Mai 2016
Die besten Geschichten fangen ja bekanntlich mit dem Wort "eigentlich" an. Also los ...
Eigentlich hatten die Aussichten, dieses Jahr nach Schottland zu kommen, ziemlich mau ausgesehen. Zum einen waren wir gerade letztes Jahr zweimal dort gewesen, und zum anderen hatte meine Frau gleich zwei Kolleginnen versprochen, Ende Mai keinen Urlaub zu nehmen - da standen Hochzeiten und Flitterwochen an. Nun liegt aber das Feis Ile, das Whiskyfestival aus Islay, immer Ende Mai, und natürlich veranstaltete Taste-ination seine Segelreise nach Islay zum Festival. Keine Chance auf eine Reise also? Doch ...
Meine Frau hatte zähneknirschend zugestimmt, dass ich diesmal alleine mitfahren durfte, aber ein Wochenende vorab in Glasgow oder Edinburgh (Starttermin der Reise war ein Sonntag, das hätte sich also angeboten) wollte sie mir nicht zugestehen. Aus verständlichem Grund, hatte sie doch genau an dem fraglichen Samstag Geburtstag. Die Lösung? Früher hätte man das wohl "salomonisch" genannt, heute sagt man dazu eher "win-win": wir verbrachten das (etwas verlängerte) Wochenende gemeinsam in Glasgow und feierten ihren Geburtstag dort, bevor sie zurückflog und ich mich auf den Weg zur Küste machte.
Den ersten Abend in Glasgow wollten wir dann - in Anbetracht des Programms der nächsten Tage - bewusst nicht mit Whisky verbringen (was auch beinahe geklappt hätte). Wir hatten auf dem Fußweg zum Hotel eine Gin-Bar gesehen, und auch wenn Gin nicht in allen Fällen an mich geht (zum Beispiel in Verbindung mit Tonic Water), schauten wir uns die mal näher an. Eine gute Entscheidung. Das Ambiente erinnerte mich an spanische Architektur. Hohe Gewölbe und alles mit Schmuckfliesen bedeckt. Dazu gab es ganz nette Livemusik und eben Gin. Ich hatte in der imposanten Bar eine Flasche mit (für Gin) ziemlich intensiv farbigen Inhalt entdeckt, offensichtlich ein Gin mit einem Fassfinish. Eine Nachfrage ergab, dass es sich um einen Firkin Gin handelte, der in einem Whiskyfass (The Balvenie, 21 yrs) gelagert worden war. Da war er doch wieder, der Whisky, denn natürlich konnte ich daran nicht vorbei. Die Kombination der Geschmacksnoten aus Gin und Whisky ergab einen sehr eleganten Drink. Leider hat man kaum eine Chance, davon mal eine Flasche zu bekommen, denn die knapp 100 Flaschen, die pro Batch (ich hatte Batch 02) produziert werden, sind wohl sehr schnell vergriffen. (Das Gin71 ist übrigens auch zum Frühstück sehr schön, wie wir zwei Tage später ausprobiert haben - allerdings ohne Gin.)
Glengoyne
Für den Freitag hatte ich das Geburtstagsgeschenk für meine Frau gebucht: die Master Class in Glengoyne. Glengoyne ist von Glasgow aus mit dem Linienbus (Linie B10 ab Buchanan Street Station) in etwa einer Stunde zu erreichen. Die Haltestelle ist genau an der Einfahrt zur Destillerie, und die Busfahrer kennen das schon: ich brauchte gar nicht zu sagen, wohin wir wollten, das sah man uns schon an:
"To Glengoyne?"
"Yes. Does it show?"
" It's written in big letters on your forehead."
In der Destillerie angekommen, wurden wir vom Team im Visitors Center begrüßt, und unser Guide, Arthur MacFarlane, führte uns (es gab keine weiteren Teilnehmer) in ein benachbartes Gebäude, wo wir zuerst mal einen Welcome Dram (ein Glengoyne 12 yrs) in gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre bekamen. In den folgenden sechs(!) Stunden lernten wir die Destillerie, ihre Whiskies und ihre Philosophie sehr gut kennen.
Zum Auftakt gab es einen Nosingtest, wie ihn (in deutlich erweiterter Form) Whisky Blender im Rahmen ihrer Ausbildung durchlaufen. Wir bekamen 20 Geruchsproben und sollten notieren, was wir erkannt hatten. Anschließend wurde aufgelöst und Punkte verteilt. Ich konnte froh sein, irgendwo im oberen Mittelfeld der Ergebnisse zu landen. Meine Frau schlug mich natürlich um Längen.
Es folgten eine Tour durch die Destillerie einschließlich eines Ausflugs ins Warehouse (das nicht nur auf der anderen Straßenseite liegt, sondern damit auch in den Lowlands, während die Destillerie selbst in den Highlands liegt), viele Informationen über den Destillationsvorgang, die man sonst nicht zu hören bekommt (zum Beispiel über die Auswirkungen der Still Form und des Kupfers auf das Destillat), Geruchsproben von New Make aus den verschiedenen Phasen eines Destillationslaufes (das fertige Gemisch aus dem Destillattank duften wir auch probieren - zum Vergleich gab es übrigens einen New Make aus Invergordon, Single Grain, extrem hochprozentig!), Informationen über das Holzmanagement (insbesondere über die Küfereien in Nordspanien und die Sherry-Bodegas in Jerez, mit denen Glengoyne kooperiert), ein Sherrytasting (Fino, Manzanilla, Amontillado, Oloroso, Pedro Ximinez), diverse Drams (Single Cask 10 und 15 yrs, Tea Pot Dram), Mittagessen und - stilecht - Tea, bevor der Tag dann seinem Höhepunkt zustrebte: wir konnten aus fünf unterschiedlichen Fassproben unseren jeweils eigenen Whisky blenden, den wir dann, schön beschriftet und verpackt, mitnehmen durften. Die Beschreibung der Fassproben, unsere Planungsnotizen und natürlich die Zusammensetzung des letztendlichen Whisky fanden ihren vorgesehenen Platz in der Flaschenschachtel, und diese 200ml gehören zum besondersten und persönlichsten, was man sich an Whisky vorstellen kann.
Alles in allem war das eine unglaubliche Tour, und was in diesem kurzen Abriss nicht erwähnt wurde, aber definitiv nicht fehlen darf, ist die Erwähnung der schier unerschöpflichen Freundlichkeit und Gastfreundschaft aller Menschen dort in der Destillerie, vom Vorabanruf, ob es bei dem Termin bleibt und ob wir noch Hilfe bei der Anreise brauchen, über den Shop (der letzte Ansteck-Pin war gerade weg, also bekam ich das Exemplar von der Jacke der Kassiererin - geschenkt!) bis zur Abreise mit dem Bus ("Ich nehme denselben Bus, bleibt einfach hier bei mir stehen, dann könnt Ihr ihn nicht verpassen") - das hatte eine Qualität, wie weit über einen normalen Destilleriebesuch hinaus ging!
Auchentoshan
Am Abend war Michael von Taste-ination zu uns gestoßen, der als Veranstalter ja auch mit zu "seinem" Schiff musste, und so konnten wir den Geburtstag meiner Frau am nächsten Tag gemeinsam verbringen. Ein Taxi brachte uns zu nächsten Destillerie nach Auchentoshan, noch ein bischen näher am Zentrum von Glasgow als Glengoyne. Da wir hier nichts vorab gebucht hatten, gab es leider keine größere Tour, aber eine Standardtour startete bald, und der schlossen wir uns an. Und auch wenn es "nur" Standard war, war die Tour doch recht gefällig. Außer im Warehouse (hier wurde wie üblich auf die "hochexplosive Alkoholluft" verwiesen) durften wir überall fotografieren. Nun ja, zu Fotos im Warehouse sollte ich später doch noch kommen, und natürlich ist es dabei nicht explodiert ...
Nach dem Tourabschluss in der sehr schön gemachten Bar der Destillerie wollten wir nämlich noch die aktuelle "handfilled" Ausgabe mitnehmen. Dazu nahm uns der Guide mit zum Fass, das in einem eigenen Raum im Warehouse steht. Un da ich dort natürlich meine Frau dabei fotografieren durfte, wie sie ihren Handfilled an ihrem Geburtstag abfüllt, fielen dabei auch ein paar Schnappschüsse ins Hauptwarehouse ab.
Geburtstagsfeier
Nach einer gemütlichen Busfahrt zurück ins Stadtzentrum trennten wir uns dann vorerst von Michael. Jeder hatte Zeit und Bedarf an eigenen Aktivitäten (Shopping, Tea, bummeln) und ein bisschen "Füße hochlegen" im Hotelzimmer. Genau dort trafen wir uns später wieder, denn bevor wir uns ins abendliche Getümmel stürzen wollten, hatte Michael noch einen besonderen Dram als Geburtstagsgeschenk mitgebracht, nämlich einen 30 jahre alten Ardbeg aus dem Geburtsjahrgang meiner Frau. Nachdem wir dieses Sample (und noch zwei weitere, schließlich wollten Michael und ich ja auch nicht auf dem Trockenen sitzen) mit großem Genuss und der angebrachten Bewunderung verkostet hatten, ging es los. Zum Abendessen hatten wir einen Tisch im Viva Brazil reserviert, einem Rodizio-Lokal mit brasilianischem Spießgrill. Und im Gegensatz zu vielen Whiskybars hat uns dieses Lokal unsere Grenzen aufgezeigt. Wir haben es nicht geschafft, alle 15 unterschiedlichen Spieße zu probieren!
Anschließend ging es dann (schön langsam nach dem reichhaltigen Essen) zum Pot Still, der besten Whisky Bar in Glasgow. Klein, meistens brechend voll, urgemütlich (wenn man einen Platz findet) und mit etwa 600 offenen Flaschen ein sehr großes Angebot. Wenn nicht zu viel los ist, dann sind die Jungs (und Mädels!) hinter dem Tresen auch sehr hilfsbereit und kompetent, was die Auswahl des Whiskies angeht. Man sagt, in welche Richtung man denkt und bekommt Vorschläge. An diesem Abend hatten wir uns aber die Liste geben lassen, und wie der Teufel es wollte, standen alle Flaschen "hinten, ganz oben" im Regal und mussten erst aufwändig gesucht werden. Der Erfolg war ... nun ja, durchwachsen. Immerhin hatten wir gesprächige und amüsante Tischnachbarn, die zwar keine Ahnung von Whisky hatten, aber dennoch viel darüber zu erzählen hatten und uns am Ende noch eine Runde Highland Park spendierten.
Der Rest des Wochenendes ist schnell erzählt: letzte Übernachtung, meine Frau fuhr mit dem Bus nach Edinburgh zum Flughafen (und brachte alle Whiskykäufe des Wochenendes heil nach Hause), Michael und ich setzten uns in den Bus zur Westküste nach Tarbert ... und schon sind wir im nächsten Artikel, den ich demnächst hier veröffentlichen werde.
Zu den Destillerien gehts hier: Glengoyne, Auchentoshan