Blind Tasting Juni 2016

Blind Tasting Juni 2016

Manchmal hat man einfach genug. Nach der wunderschönen Schottlandreise letzten Monat, bei der es viele hervorragende Drams zu verkosten und zu genießen hab, hatte ich das Bedürfnis, mal eine Weile ohne Whisky und Spirituosen auszukommen. OK, mal genippt habe ich dann doch (an einem leckeren Rum, den meine Frau sich gegönnt hat), und als der Regen mal nachließ, um einem warmen und schönen Abend Platz zu machen, gab es auch mal einen Longdrink (Whiskylikör mit Tonic Water), aber ansonsten habe ich mir Spirituosen (und auch andere Alkoholika) gespart. Und ich muss sagen: es hat gut getan.

Nach fast drei Wochen selbstgewählter Abstinenz gab es jedoch den nächsten Tasting-Termin bei malt'n'taste, und den wollten wir uns nicht entgehen lassen. Michael hatte zum Blind Tasting eingeladen, und da wir es bisher nie geschafft hatten, diese besondere Art des Tastings zu besuchen, freuten wir uns auf eine neue Erfahrung.

Klassischerweise gibt es in einem Blind Tasting so wenig Informationen wie möglich, um ausschließlich Nase und Zunge zu einem Urteil kommen zu lassen. Das ist bei Michael etwas anders. Er lockert die strenge Form ein wenig auf, zum Beispiel, indem er keine gefärbten Gläser verwendet, so dass man die Farbe der Whiskies sehen kann. Außerdem gibt es an zwei Stellen im Tastingverlauf jeweils einen Informationsblock mit einigen allgemeinen Fakten über das gesamte Starterfeld. Die aufgelockerte Struktur kommt der Stimmung im Teilnehmerkreis deutlich zu Gute, es wurde intensiv diskutiert, spekuliert, gefachsimpelt und (natürlich) geraten.

Zu Beginn gab es einen Aufwärm-Dram. Das hat nichts mit "warmtrinken" zu tun, sondern dient der Kalibrierung der Zunge. Bevor man sich auf Unbekanntes einlässt (das man auch noch erraten soll), ist es wirklich hilfreich, einen bekannten (oder zumindest ganz klassischen) Dram auf der Zunge zu haben. Zu diesem Zweck schenkt Michael gerne den Glen Grant 10 yrs aus, eben einen ganz klassischen Speysider, Ex-Bourbon mit 40%, ausgewogenen Fruchtaromen und einem langen, nussigen Finish. Danach hat man sozusagen seine Baseline im Kopf und kann sich von dort aus zu neuen Erkundungen aufmachen.

Blind Tasting Juni 2016 Setup

Ich teile diesen Artikel ungefähr so auf wie Michael sein Tasting, nämlich in einen Teil mit der Vorstellung der Rätsel Whiskies (mit meinen und anderen Rateversuchen in kursiver Schrift) und einen anschließenden Block mit der Auflösung. Also los:

  • Whisky No.1 - M8 (Kupfer) - Der erste Whisky des Feldes hatte Noten von Sherry, Vanille, Früchten, Rosinen und Pflaumen in der Nase. Auf der Zunge vermengte sich das dann zu einem Gesamteindruck von Rumtopf. Außerdem kam Holz dazu, und das Gefühl einer trockenen Zunge. - Das kann doch nur ein Sherryfinish sein, oder? Mich erinnerte der Geschmack an einen Glenfarclas, aber damit war ich ziemlich alleine. Größere Einigkeit bestand darin, dass das ein Whisky in klassischer Trinkstärke war. Hatte der Geruch noch für "harmlose" 40% gesprochen, so gingen die Schätzungen nach dem ersten Schluck etwas nach oben. 43%? Keinesfalls mehr als 46%.

  • Whisky No.2 - M5 (Senf) - Hier hatten wir frische und helle Noten in der Nase, Zitrus, Honig, Vanille, Apfel, Calvados, wenig Holz, aber viel Ananas. Auf der Zunge dann wieder Ananas sowie viel Süße und Fruchtigkeit. Das Finish spielte sich schließlich recht lange im Mundraum ab, tiefer im Hals war ein leichtes Brennen zu spüren. Da - wie immer auf Michaels Empfehlung - etwas im Glas geblieben war, konnte man sehr schön die - recht unschöne - Entwicklung über die Zeit beobachten. Zum einen trübte der Whisky stark ein, zum anderen brachen nach einer Weile heftiger Ananasaromen Geruch und Geschmack völlig in sich zusammen. - Die süßen und fruchtigen Noten in Verbindung mit der doch recht hellen Farbe habe ich als Zeichen für ein Finish in einem trockenen Sherryfass gedeutet, vielleicht ein Fino? Von anderer Seite kam der Hinweis auf Armorik, einen französischen Whisky. Bei der Stärke tippten wir auf 46%, und der spätere Verfall brachte uns auf die Idee, dass dieser Whisky von einem Discounter stammen könnte. Das Image von "hält ernsthaften Qualitätskriterien nicht stand" hätte doch sehr schön gepasst, oder?

An dieser Stelle kam dann der erste Block mit Informationshäppchen. Michael ließ uns wissen:

      - Die Whiskies des Abends sind zwischen 8 und 28 Jahre alt.
      - Einer der Whiskies ist ein Blend.
      - Die Einkaufspreise der Flaschen lagen zwischen 30,- und 110,- EUR. (Wie lange das jeweils her war, erfuhren wir aber nicht.)
      - Die Stärke der Whiskies liegt zwischen 40% und 51,2%.

Hmm. Da konnte man jetzt noch nicht wirklich viel draus schließen. Es war wie bei einem Puzzlespiel: man entdeckt immer mehr Teile, die man grob zuordnen kann, aber wohin diese Teile im Gesamtbild genau gehören, findet man erst zum Schluss heraus, wenn sich dieses Bild öffnet.

Also ging es erstmal weiter:

  • Whisky No.3 - M10 (Henna) - Hier hatten wir nun einen recht dunklen Whisky, der in der Nase süß und schwer wirkte, mit Noten von Holz, Sherry und Rumtopf. Auf der Zunge gesellte sich dann der Eindruck von hoher Alkoholstärke und Alter hinzu. - Mit nur den Eindrücken aus der Nase wurde der Verdacht geäußert, dass dieser Whisky gefärbt sein könnte. Das haben wir aber nach dem ersten Schluck schnell revidiert. Zu viel Alkohol, zu mächtig, zu alt. Das ist kein Whisky, den man färbt, um den Markeneindruck konstant zu halten. Das könnte schon eher ein Whisky in Fassstärke sein, vielleicht sind das die als Höchstmarke aufgerufenen 51,2%? Mich erinnerte er an einen Edradour, aber wieder wollte sich niemand meinem Tipp anschließen.

  • Whisky No.4 - M10 (Henna) - Nochmal ein dunkler Whisky. Wie immer : Hoffnung auf einen leckeren Tropfen. Nach der ersten Bekanntschaft mit der Nase aber eher Befremden. Gummi, Maggikraut, Liebstöckel. Was hat er denn da ausgegraben? Auf der Zunge dann deutlich besser: Scharf und schwer, der Whisky zieht viel Speichel, ist sowohl pfeffrig als auch süß, hat ordentlich Alkohol. - Aber er bleibt ein bischen mysteriös. Außer der relativ hohen Alkoholstärke fällt uns dazu nicht wirklich viel ein. Immerhin scheinen wir die Pause gut überstanden zu haben. Bei andern Tastings neigt der erste Whisky nach der Pause schon mal zu leichten Noten von Frikadelle. Das tut dieser hier nicht.

Vielleicht hilft uns eine weitere Runde Tipps weiter:

      - Es sind sowohl Standardabfüllungen als auch unabhängige Abfüller vertreten.
      - Zwei der Whiskies sind Single Cask Abfüllungen.
      - Alle Whiskies kommen entweder aus den Highlands oder aus der Speyside (außer dem Blend natürlich).
      - Ein Whisky stammt von einem Discounter.

Aha! Jetzt finden sich also die ersten Puzzleteile zusammen, nicht wahr? Diese Ananasbombe (Whisky No.2), die mittlerweile gepflegt in sich zusammenfällt, das muss dann ja der Discounterwhisky sein. Hatten wir ja schon vermutet. Und dieser starke, bei dem wir 51,2% vermutet hatten (Whisky No.3), ist dann wohl ein Einzelfasswhisky. Oder doch nicht? Michael hielt natürlich absolut dicht, und wir sammelten weitere Puzzleteile.

  • Whisky No.5 - M7 (Safran) - Nicht mehr so dunkel wie die Vorgänger. In der Nase viele verschiedene Früchte: Apfel, Birne, Pfirsich. Alles recht süß. Und auch auf der Zunge süß und weich, eigentlich sind da nicht viele Geschmacksnoten. Und der Abgang? Fehlt völlig. Gleich noch einen Schluck probieren, diesmal ohne den Whisky einige Sekunden im Mund zu behalten. Nein, da ist wirklich gar nichts von Abgang. - Das wäre ein Kandidat für einen Blend. So weich und gesichtslos, das mag ich einem Single Malt nicht unterstellen.

  • Whisky No.6 - M7 (Safran) - Zuerst ziehe ich die Nase instinktiv zurück: wieder ein etwas muffiger Geruch, diesmal auch Kleber dabei: nicht schön. Das legt sich aber sehr schnell, und frische Noten von Zitrus, vor allem Orange, übernehmen das Kommando. Dazu kommen süße Töne, Honig. Auf der Zunge dann bleibt der süße Eindruck, es kommen aber Bitternoten dazu. Und er schmeckt recht alkoholisch. - Der geht bei mir überhaupt nicht. Hatte ich ihm die merkwürdigen Geruchsnoten am Anfang noch verziehen (es gibt halt Whiskies, denen man ein wenig Zeit geben muss), so komme ich am Ende mit der Kombination aus süß und bitter überhaupt nicht klar. Trotz gegenteiliger Meinungen unter den anderen Teilnehmern: meiner ist das nicht! Immerhin könnte das einer der Single Casks sein, stark genug dafür schmeckt er.

Die Auflösung

Wir wurden nun gebeten, unser Ranking auf einem Zettel zu notieren und die Zettel einzusammeln. Michael wertete in einer kleinen Pause die Zettel aus, und dann ging es an die Auflösung. Wie man sich doch täuschen kann ...

Natürlich hatten wir alle mit vielen Tipps daneben gelegen. Aber die Diskussionen und Überlegungen hatten viel Spaß gemacht. Und in der Auflösungsrunde sollte es (mit vielen Überraschungen) genauso weitergehen.

Eine kleine Anmerkung noch zu den kursiven Textanteilen: das ist eine bunte Mischung aus eigenen und fremden Ideen. Wo ich mich noch erinnern konnte, habe ich dazu notiert, was von mir war. Aber insgesamt darf man das nicht als Einzelmeinung sehen, eher als unterhaltsamen "Blend".

Nun also die Hitparade der Überraschungen:

  • Platz 6: Whisky No.2 - (bei mir Platz 6) - Mannochmore 14 years, Gordon&MacPhail Exclusive, Refill Sherry Hogshead, Cask #5271, 02.09.1998 - 07/2013, 1 of 312 bottles, 50%, Speyside - Das war die "Ananasbombe". Und das soll ein Single Cask gewesen sein? Oha, da haben wir ja gleich zum Auftakt völlig daneben gelegen. Aber die extreme Süße ist nicht jedermanns Sache, und die (fehlende, rückläufige) Geruchsentwicklung und die optische Eintrübung sind schon sehr untypisch für "gute" Whiskies, und mein persönliches Ranking muss ich auch nach dieser Auslösung nicht ändern.

  • Platz 5: Whisky No.5 - (bei mir Platz 4) - Ben Bracken 28 years, 1 of 6000 bottles, 40 %, Speyside, Lidl Schottland - Hier kam er dann, der Discounterwhisky. Auch wenn man vielleicht bereit ist, einem Discounter im Land des Whiskies mehr Qualität zuzutrauen als hierzulande ("Die können in Schottland doch keinen schlechten Whisky verkaufen, da merkt das doch jeder sofort"), mein Urteil bleibt bestehen: zu weich und zu gesichtslos, um wirklich Eindruck auf mich zu machen. Was allerdings beeindruckt ist, dass das tatsächlich der 28-jährige und damit älteste Whisky im Feld war. Das hatte ich nicht erwartet. (Übrigens ist Ben Bracken ein Phantasiename. Aus welcher Destillerie der Whisky stammt, ist nicht bekannt. Und die Einschränkung "Speyside" lässt ja auch noch reichlich Möglichkeiten.)

  • Platz 4: Whisky No.4 - (bei mir Platz 2) - Stewarts Dundee, Deluxe Blended Scotch Whisky, "Cream of the Barley", Blend, 43%, Flasche aus den 60-70ern, Enthält u.a. 20 Jahre alte Whiskies - Aha, der Blend! Ein ganz altes Schätzchen, das Michael auf einer Messe entdeckt hatte. Dazu war uns in der Tastingrunde nicht viel eingefallen. Nicht mal die vermutete hohe Alkoholstärke stimmte. Was uns hier stark in die Irre geführt hat, ist die Tatsache, dass es früher eine ganz andere Whiskyphilosophie gab als heute. Heutzutage sind Blends vor allem rund und ausgewogen, genau das gehört ja zur Kunst der Blender, diese Ausgewogenheit hinzubekommen. Früher hat man das nicht immer so gesehen, wie dieser Blend beweist, der viel kräftiger ist als ein heutiger Ballantines oder Johnny Walker. Und auch wenn mir die Geruchsnoten im ersten Moment befremdlich vorkamen: das ist ein Blend mit Ecken und Kanten, der mir aus heutiger Sicht näher an einem Single Malt als an einem Blend zu sein scheint. Jedenfalls hat er mich am Ende überzeugt, wie man an meiner persönlichen Platzierung sehen kann.

  • Platz 3: Whisky No.1 - (bei mir Platz 3) - Glendronach, 12 years, 43%, Highlands - Und auch dieser Whisky hatte ein paar Überraschungen für uns bereit. Lagen wir bei Alkoholstärke und grundsätzlicher Richtung (Sherry) noch richtig, so hatten wir nicht erkannt, dass es sich um eine vollständige Sherryfassreifung handelte. Und ich habe mit "Glenfarclas" natürlich weit daneben getippt.

  • Platz 2: Whisky No.6 - (bei mir Platz 5) - Balvenie Double Wood, 17 years, 43%, Speyside - Tja. Das war wohl für die Mehrheit der Teilnehmer ein Volltreffer. Beliebte Destillerie, interessante Fasskombination, schönes Alter. Ich glaube, mit meiner Einstufung auf Rang 5 stehe ich ziemlich alleine da. Und ich weiß nicht, wie ich diesen Whisky eingeschätzt hätte, wenn ich ihn in einem "normalen" Tasting bekommen hätte. Vielleicht suche ich mir den nochmal für eine Verkostung raus, wenn ein bischen Zeit vergangen ist. Aber ich bin nicht böse über meinen "Fehltritt", was die Bewertung angeht. Die Geschmäcker sind nun mal sehr unterschiedlich, und selbst, wenn ich später (mit dem Wissen, was ich im Glas habe) zu einem anderen Urteil komme, dann bleibt die ebenfalls sehr interessante Erkenntnis, wie stark man sich von Image und Etikett beeinflussen lassen kann.

  • Platz 1: Whisky No.3 - (bei mir Platz 1) - Glenburgie, 6 years Oak Casks plus 8 months Octave Sherry Cask Finish, 2008 - 2015, Cask 9410348, 1 of 88 bottles, 51.2%, Speyside - Hier hatten wir nun endlich mal ziemlich richtig gelegen. Single Cask, die 51,2%, und die Mehrheit ist sich (mich eingeschlossen) einig, dass es sich um den Favoriten des Abends handelt. Naja, mein Tipp "Edradour" war natürlich falsch, aber wenn man auf eine bestimmte Destillerie setzt, dann ist das ja auch wie beim Roulette ein "alles auf die Null" - hinterher ist der Einsatz meistens weg. Sehr interessant an diesem Whisky finde ich übrigens das Finish in Octave-Fässern. Laut Whisky Science sind das fast (außer Firkin und Bloodtub) die kleinsten Fässer, die in der Whiskyherstellung verwendet werden. Gerade mal 46 Liter passen in so ein Fass. Selbst für 88 Flaschen braucht man also mindestens zwei Stück davon.

Am Ende des Tages ...

Mein Fazit ist eindeutig: Nach dem (Blind) Tasting ist vor dem (Blind) Tasting. Der Abend hat riesig Spaß gemacht, und gelernt habe ich dabei auch wieder eine Menge. Das vielleicht wichtigste an den ganzen falschen Tipps, die man sich "leistet", ist vielleicht, dass die eigene Perspektive ("Ich verstehe was von Whisky") einen kleinen Dämpfer bekommt und wieder gerade gerückt wird. Bei Michaels nächste Blind Tasting (18.11.2916, wer jetzt Interesse bekommen hat: es sind noch Plätze frei - Stand 26.06.2016) können wir zwar leider nicht dabei sein, aber mein nächstes Blind Tasting wird trotzdem kommen. Ganz sicher.

Zum Veranstalter gehts hier: malt'n'taste

Blind Tasting Juni 2016 Notes
Whisky ist ein alkoholisches Getränk. Gehen Sie verantwortungsbewußt damit um. Genießen Sie Qualität in kleinen Mengen. Gefährden Sie nicht Ihre Gesundheit.

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